Der Tag, an dem Gertrud Prusseit verschwand

Veröffentlicht am 27.11.2018 in Geschichte

"Wo bleibt Frau Prusseit...?" - Aufruf aus dem „Kleinen Telegrafen“ (47 / Jg. 2)

Neulich war Markus Roick bei uns in der SPD-Abteilung 01 Niederschönhausen-Blankenfelde zu Gast.

Wir hatten Markus Roick eingeladen, weil er sich ausgiebig mit der Geschichte der Pankower SPD beschäftigt hat und uns eine Menge darüber zu berichten wusste.

Dabei ging es auch um Gertrud Prusseit - auf diesen Namen war Markus Roick gestoßen, als er in den Archiven den Staub von den Folianten blies.

Wer war Gertrud Prusseit? Sie war 1950 die Kreisvorsitzende der SPD Pankow.

Gertrud Prusseit „verschwand“ am 15. November 1950. Noch anderthalb Jahre später wusste man nichts Offizielles über ihren Verbleib. 

Aus den Akten wissen wir: Der damalige „sowjetdeutsche Staatssicherheitsdienst“ – also die frisch gegründete Stasi – hatte sie in ihrer Wohnung in der Kaiser-Wilhelm-Str. 14 in Niederschönhausen (heute: Dietzgenstr.) ohne Begründung verhaftet.

Gertrud Prusseit geriet wegen der „Lebensmittelkarten-Aktion“ politisch ins Fadenkreuz: Die Westberliner Parteien hatten die Ostberliner Bevölkerung im Jahr 1950 dazu aufgerufen, ihre Lebensmittelkarten des abgelaufenen Monates einzuschicken, wenn sie freie Wahlen für ganz Berlin wollten.

Der Erfolg der Lebensmittelkarten-Aktion war überwältigend: Rund ein Drittel der 1,2 Mio. Ostberlinerinnen und Ostberliner folgte dem Aufruf. Der Sicherheits- und Geheimdienstapparat der jungen DDR-Diktatur sah seine Felle davonschwimmen. Um den Protest im Keim zu ersticken, wurden die üblichen Verdächtigten verfolgt und verhaftet, darunter zahlreiche Sozialdemokraten.

Geboren wurde Gertrud Prusseit 1909. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte sie ab 1923/24 den Beruf einer Wäscheschneiderin. Sie wurde Mitglied der SPD und heiratete 1929 ihren Mann Otto Prusseit. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie wieder in der SPD aktiv und 1950 zur Kreisvorsitzenden in Pankow gewählt. Vom 21. bis 25. Mai 1950 nahm sie als Delegierte am Parteitag der SPD in Hamburg teil.

„Aufenthalt z. Zt. unbekannt“

Gertrud Prusseit war 1952 schon zwei Jahre politisch inhaftiert, da startete die DDR-Staatspartei SED ihre große Umarmungsstrategie:

Im April 1952 schlug die SED der SPD Friedrichshain vor, eine gemeinsame Veranstaltung durchzuführen. Eine gemeinsame Veranstaltung von SED und SPD in Ostberlin? Anders als im Rest der DDR, wo KDP und SPD unter sowjetischen Druck 1946 zwangsvereinigt und widerständige Sozialdemokraten in Lagern inhaftiert wurden, gab es in Ostberlin bis 1961 weiterhin eigenständige SPD-Kreisverbände, die aber von der SED in ihrer politischen Arbeit massiv behindert wurden – sie durften zum Beispiel nicht durch öffentliche Veranstaltungen in Erscheinung treten.

Die SPD Friedrichshain nahm das „Umarmungs-Angebot“ der SED nicht ohne Hintergedanken an und benannte als Rednerin für die gemeinsame Veranstaltung selbstverständlich „die Kreisvorsitzende des Kreises Pankow, unsere Genossin Gertrud Prusseit (Aufenthalt z. Zt. unbekannt)“! - Daraufhin ließ die SED die Idee mit der gemeinsamen Veranstaltung fallen.

Der Prozess gegen Gertrud Prusseit geriet zur Schmierenkomödie. Die Vorwürfe waren haltlos und abwegig. Aus dem Nichts wurden Vorwürfe, die strafrechtlich völlig irrelevant sind, konstruiert und die politische Arbeit der SPD in Ostberlin kriminalisiert. Die SED setzte ihren gesamten DDR-Staatsapparat dazu ein, um politisch anders Denkende mundtot zu machen:

Gertrud Prusseit wurde zur Last gelegt, dass sie an einer Sitzung der Ost-Kreisvorsitzenden in der SPD-Zentrale teilgenommen hatte. Außerdem hatte sie an einem öffentlichen Prozess, der gegen einen Genossen geführt wurde, teilgenommen und darüber berichtet. Und sie hatte der Frau eines anderen inhaftierten Genossen geholfen.

Oder wie es im Urteil formuliert wurde:

„Die heutige politische Lage ergibt, das [sic!] die Führer [der SPD] mit den Imperialisten Hand in Hand arbeiten. … ihre Politik ist als militaristische und faschistische Propaganda anzusehen und zugleich damit ein Verbreiten von tendensiösen [sic!] Berichten. Ihr Ziel ist das gleiche, wie das der Faschisten ... Der Friedenskampf ist daher das höchste Gebot der Stunde. Durch ihre Handlungsweise stellte sich die Angeklagte gegen die Bestrebungen der friedliebenden Menschen.“

Verurteilt wurde sie zu zwei Jahren Haft.

Am 13. November 1952, um 2 Uhr, wurde Getrud Prusseit aus der Haft nach Berlin-Wilmersdorf zu Verwandten entlassen. Hier verliert sich ihre Spur, und wir haben seitdem nichts mehr von ihr gehört. Wer mehr weiß, bitte melden!

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